Das Interview führte Josef Ertl, Kurier Redaktion Linz
Kurier: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls des Stromnetzes? (Blackout)
Werner Steinecker: Die Gefahr ist extrem gering.
NEOS: Der Chef eines Energieversorgungsunternehmens muss das vermutlich (auch) aus standortpolitischen Überlegungen so sagen, aber diese Einschätzung wird zum Beispiel durch Blackoutexperten wie Herbert Saurugg und das Österreichische Bundesheer nicht geteilt. Eine Ergänzung sei jedenfalls gestattet: Da die Energieproduktion in Zukunft immer näher an die Abnehmer rückt, wird sich die Gefahr großflächiger Ausfälle wohl weiter verringern. Windkraft, Photovoltaik aber auch Vor-Ort-Mini-AKWs für größere Industrie-Unternehmen werden die heutigen Energieversorger zu Backup-Lieferanten machen. Die Fortschritte bei der Akku-Produktion, jetzt schon ohne „seltene Erden“ möglich, werden ein Übriges dazu tun.
Kurier: Der Bedarf an Elektrizität steigt. Die Reduktion fossiler Energieträger und die damit verbundene Senkung von Emissionen bedeutet oft einen Mehrbedarf an Strom.
Werner Steinecker: Meist bringen energiesparende Maßnahmen einen höheren Stromverbrauch mit sich. Nur durch die modernen Steuerungen (Home Automation) ist der geringere Verbrauch von Energie möglich.
NEOS: Ähnlich, wie die sich ausbreitenden „SMART HOME“ Anwendungen, die auch den Energieverbrauch der Haushalte optimieren, werden beispielsweise intelligente Ladetechniken für E-Autos das Stromnetz nicht zusammenbrechen lassen. Der Mehrbedarf an Energie wird sich in Grenzen halten. Um beim Beispiel zu bleiben, beobachten wir im ländlichen Raum bereits den Trend, dass E-Auto-Käufer sich meist auch eine kleine Photovoltaikanlage anschaffen, um kostengünstig die „Betankung“ mit selbst erzeugtem Strom sicherzustellen.
Kurier: Wie hoch schätzen Sie den Mehrverbrauch für die nächsten fünf bis zehn Jahre?
Werner Steinecker: Der jährliche Haushaltsverbrauch liegt bei knapp 4.000 Kilowattstunden. Zu sagen, der Verbrauch wird um 20 Prozent steigen, ist schwierig, denn das kann, muss aber nicht stimmen. Die Geräte werden immer energieeffizienter, doch dafür nimmt die Anzahl der Geräte zu.
Wichtig ist auch, was die Wirtschaft und die Industrie machen. Es gibt heute keine Branche oder kein Unternehmen mehr, die nicht sagen, ich will CO2-freien Strom für meine Prozesse. Österreich befindet sich in der begnadeten Situation, dass mehr als 60 Prozent des Stroms aus der Wasserkraft kommen.
NEOS: Gerade der Haushaltsverbrauch wird die Energieversorger auf Sicht immer weniger fordern. Photovoltaik wird immer effizienter und einfacher zu implementieren. So hat z.B. die schwedische Firma MIDSUMMER die erste unsichtbare Photovoltaik-Anlage mit solaren Dachziegeln zur Serienreife gebracht. Die Speichermöglichkeiten hinken zwar noch etwas nach, aber auch hier tut sich viel. So ist beispielsweise die oberösterreichische Firma FRONIUS in diesem Bereich ein Vorreiter und bietet schon jetzt beeindruckende Lösungen.
Industrie und Wirtschaft verfolgen ebenfalls die Strategie, soweit als möglich unabhängig von Energieversorgern zu werden. Zum einen aus Kostengründen, zum anderen zur Verbesserung ihrer eigenen Versorgungssicherheit. Viele „bedachen“ ihre Produktionshallen mit Photovoltaik. Und dort, wo das nicht reicht, wird mittel- und längerfristig höchstwahrscheinlich auf Vor-Ort-Mini-AKWs gesetzt. Das kann man durchaus kritisch sehen. Aber Firmen wie NUSCALE haben jedenfalls solche mit Atommüll betriebene (daher kein Containment erforderlich) Klein-AKWs entwickelt. Nachdem dann diese Eigenproduktion der Energie keine externen Leitungskosten und keine Steuern und Abgaben darauf verursacht, wird sich das rasch rechnen. Leitungskosten, Steuern und Abgaben betragen üblicherweise zwei Drittel der gesamten Energiekosten.
Kurier: Aber so viel CO2-freien Strom gibt es nicht. Was machen Sie?
Werner Steinecker: Ich werbe um Verständnis, dass wir noch längere Zeit eine Koexistenz von CO2-freier Erzeugung aus Wasser, Photovoltaik, Wind etc. und von CO2-armen thermischen Erzeugungsanlagen wie Gaskraftwerken benötigen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
NEOS: Tatsache ist, dass Österreich schon jetzt 25% seines Energiebedarfs aus Tschechien deckt. Deren zwei AKWs Temelin und Mochovce produzieren ausschließlich für den Export. Den Eigenbedarf deckt Tschechien aus Kohlekraftwerken im Norden des Landes.
Auszug aus einem Interview vom 13.12.2019 mit Andrej Babiš (CZ Ministerpräsident): „Ich finde es sehr komisch, dass Österreich – das ja gegen Atomkraft ist – 25 Prozent seiner Energie aus der Tschechischen Republik bezieht. Es ist also sehr seltsam, dass sie dagegen protestieren, dass wir Energie für sie produzieren. Die Österreicher sollten wissen, dass es weniger Energie für sie geben wird, wenn wir sofort klimaneutral werden sollen.“ Und er fügte auf Deutsch hinzu: „Ohne tschechischen Strom wäre Wien ohne Strom.“
Exportleitungen aus Tschechien nach Österreich gibt es derzeit nach Dürnrohr (NÖ) und Bisamberg (W). Nach Oberösterreich gibt es derzeit noch keine explizite Exportleitung, wiewohl der Netzbetreiber E.ON in Tschechien eine 2x 110 KV Leitung baut, und zwar nach Kaplice. Für den „Lückenschluss“ zu einer möglichen Anschlussstelle in Rainbach wären es nur mehr 20 Kilometer. Eine neue tschechische Exportleitung von Temelin nach Oberösterreich wäre damit geschaffen. Das könnte der eigentliche Grund für das Beharren auf einem Ausbau als Freileitung sein (siehe dazu unten mehr).
Kurier: Wie bewältigen Sie das in Oberösterreich?
Werner Steinecker: Unsere Haushaltskunden versorgen wir mit Strom aus eigenen Wasserkraftwerken. Das sind rund 1,3 Terawattstunden. Die gewerbliche Industrie verbraucht mehr als 6 Terawattstunden. Hierzu beziehen wir Strom aus heimischer Wasserkraft und ergänzen ihn mit unserer eigenen thermischen Erzeugung in Timelkam.
NEOS: Strom hat kein Mascherl. Das lässt sich daher naturgemäß von außen nur sehr schwer nachprüfen. Tatsache ist, dass bereits jetzt viele Haushalte und auch Unternehmen ihre Energie von alternativen Anbietern beziehen. Die Energie AG, respektive deren NETZ GesmbH, bewerkstelligt dabei nur mehr den Transport über ihre Monopol-Leitungen. Das heißt aber nicht, dass nur die alternativen Energieanbieter Importstrom verkaufen. Strom wird an der Börse in Leipzig gehandelt, wobei Zertifikate über Herkunft und Zusammensetzung bestimmende Faktoren im Markt sind. Und natürlich gibt es auch in Oberösterreich alternative Energieanbieter, die Strom überwiegend aus heimischen Fluss-Kraftwerken erzeugen bzw. anbieten. Es ist zudem davon auszugehen, dass auch die Energie AG Strom über die Börse in Leipzig zukauft, vor allem in Trockenperioden bei niedrigen Wasserständen.
Kurier: Es braucht nicht nur mehr Strom, sondern auch mehr Leitungen. Die betroffene Bevölkerung lehnt das ab. So gibt es seit Montag massive Proteste gegen den Bau einer 380-KV-Leitung von Elixhausen nach Kaprun. Es gibt eine Initiative gegen den Bau einer 110-KV-Leitung von Rohrbach nach Bad Leonfelden, gegen die Stromtrasse im Almtal und gegen die Leitung von Ried/I. nach Raab. Die Menschen wünschen sich die Verlegung von Erdkabeln. Leitungsgegner haben ein Gutachten vorgelegt, wonach die Erdkabellösung im Mühlviertel nur 16 Prozent mehr kosten würde.
Werner Steinecker: Das Gutachten ist in der technisch-fachlichen Aufarbeitung sehr verkürzt. Die Gutachter sind Profis, aber sie haben nur die Hälfte der Problemlösungen in die Waagschale geworfen. Heute werden Leitungen als Doppel-Leitungen ausgeführt, entweder als Kabelleitung oder Doppel-Freileitung. Dies geschieht aus versorgungssicherheits-technischen Gründen.
Die Gutachter haben lediglich eine einfache Leitung hinterlegt. Das ist so, als ob man beim Bau einer Bahntrasse nur einen statt zwei Schienenstränge verlegt. Zudem erfordert das Gelände bei der Leitungsverlegung an manchen Stellen Sprengungen. Die Gutachter sind aber davon ausgegangen, dass das Pflügen von Erdreich genügt. Das mag zwar in der Lüneburger Heide reichen, nicht aber im Mühlviertel.
NEOS: Das klingt für Laien doch relativ plausibel, aber hier greift der Chef der Energie AG geschickt in die rhetorische Trickkiste. Er bezieht sich eingangs (ohne es beim Namen zu nennen) auf ein Gutachten, das die Interessengemeinschaft Landschaftsschutz Mühlviertel (IGLM) bei den international renommierten, vor allem aber von der österreichischen Elektrizitätswirtschaft unabhängigen deutschen Experten Prof. Brakelmann und Dr. Pöller in Auftrag gegeben hat. Mit der Bezeichnung als „Profis“ anerkennt er den internationalen Ruf der beiden Sachverständigen, den er auch schwer wegdiskutieren kann. Das Ergebnis des Gutachtens versucht er jedoch mit der Aussage zu relativieren, dass sie nur „die Hälfte der Problemlösungen in die Waagschale geworfen“ hätten. Dann ergänzt er wie selbstverständlich „Heute werden Leitungen als Doppel-Leitungen ausgeführt“, was so nicht ganz stimmt, wenn man sich internationale Entwicklungen ansieht. Auf wann bezieht sich das „Heute“, auf vor 20 Jahren? Auch sein Vergleich mit der Bahntrasse hinkt. Bei der geplanten Stromtrasse ist nicht mit Gegenverkehr zu rechnen. Die Anzahl der eingesetzten Systeme bei einer Freileitung 1:1 mit einer Erdkabelleitung zu vergleichen, erfüllt das bekannte Bild vom Vergleich von „Äpfeln mit Birnen“. Das Kabel unter der Erde ist wesentlich sicherer und geschützter, wozu dann eine doppelte Ausführung? Hingegen nützt die von Dr. Steinecker bevorzugte doppelte Ausführung auf Masten nichts, wenn ein Mast oder die Leitung durch Stürme oder Schneedruck in Mitleidenschaft gezogen werden. Das ergibt in den allermeisten Fällen einen „Doppel-Ausfall“ und führt in der Folge zu einem Blackout. Gerade im Mühlviertel kam es im letzten Winter genau aus diesem Grund zu tagelangen Stromausfällen, die es mit Erdkabeln nicht gegeben hätte.
Dr. Steineckers nächstes Argument betrifft die Bodenbeschaffenheit: Ja, fallweise wird es bei der Erdverkabelung (abhängig von der konkreten Trassenwahl) auch zu heute üblichen Felsfräsearbeiten (und nicht Sprengungen!) kommen müssen, aber das Mühlviertel ist kein monolithischer Granitblock. Im Übrigen wird das Kabel nur auf etwa 1,20 Meter eingepflügt. Zudem wurde die Bodenbeschaffenheit im Gutachten von Prof. Brakelmann und Dr. Pöller durchaus berücksichtigt. Es wurden dazu Sub-Gutachten von erfahrenen und eben diese Mühlviertler Bodenbeschaffenheit berücksichtigenden Fachfirmen eingeholt. Stand der Technik heutzutage ist, dass bis zur Bodenklasse 6 (leicht lösbarer Fels) eine Pflugverlegung möglich ist. Liegt noch festeres Bodengefüge an, kann zügig mit modernen Felsfräsen gearbeitet werden. Gewässer können bis zu einer Tiefe von 1,5 m „durchpflügt“ werden. Verlegeleistung 500 Meter am Tag! Und das angefragte Unternehmen hat sogar praktische Erfahrung beim „Einpflügen“ im Mühlviertel.
Das rhetorisch geschickte Bild Dr. Steineckers vom Vergleich mit der „Lüneburger Heide“ soll das Gutachten der internationalen Experten abwerten und suggerieren, dass Österreich, respektive das Mühlviertel, ganz anders seien. Natürlich ist es in der Lüneburger Heide noch einfacher, einen 1,20 Meter tiefen Graben per Pflug zu ziehen. Das könnte die Energie AG übrigens für die im Innviertel geplante Leitung nachdenklich stimmen, wo die Verlegung eines Erdkabels ähnlich leicht funktionieren würde, wie in der von Dr. Steinecker ins Treffen geführten Lüneburger Heide. Tut es aber nicht.
Der von der Energie AG zugezogene „unabhängige“ Fachexperte ist übrigens der emeritierte Prof. Dr. Lothar Fickert von der TU Graz, der unter anderem in einem Freileitungs-Werbevideo der Energie AG als deren Fürsprecher auftritt. Viel Geld hat er damit nicht verdient, wie er glaubwürdig versichert.
Kurier: Verstehen Sie die Menschen, die gegen die Stromleitungen und für die Erdkabel sind?
Werner Steinecker: Sicher. Der Mensch funktioniert nach dem Prinzip, wenn ich die Leitung nicht sehe, ist es eine gute, ist die Leitung aber zwischen zwei Masten gespannt, ist es eine schlechte.
NEOS: Hier haben wir eine klassische rhetorische Figur, die von Experten und (politischen) Eliten gerne angewandt wird. Unterschwellig wird suggeriert: „Die haben keine Ahnung von der Materie und sind womöglich sogar Hinterwäldler“. Dass diese Menschen, die nach Steineckers Analyse „… nach einem bestimmten Prinzip funktionieren“, nicht gegen Netzsicherheit, nicht gegen den Wirtschaftsstandort und auch nicht dagegen auftreten, dass notwendige Infrastrukturmaßnahmen getroffen werden, wird lässig vom Tisch gewischt. „Was sie nicht sehen, betrifft sie nicht“, macht Steinecker sich über die Bürgerinitiativen lustig. Sie sollen sich (politisch) nicht in Dinge einmischen, von denen sie nichts verstehen.
Wir NEOS verstehen Politik völlig anders. Ja klar haben die Bürgerinnen und Bürger ein Recht, sich zu Wort melden und Einfluss zu nehmen! Politik ist der Ort, an dem wir uns ausmachen, wie wir miteinander leben wollen. Und ein Infrastrukturunternehmen ist bei Schaffung entsprechender Infrastruktur hochpolitisch tätig. Dass beispielsweise die Mühlviertler Initiative mit- und weiterdenkt, ihre Umwelt und ihre Gesundheit, bzw. die ihrer Kinder und Enkel im Auge hat, ist legitim. Und wenn diese Menschen auch noch evidenzbasierte Argumente und konstruktive Vorschläge vorlegen, dann sollte man sie ernstnehmen.
Kurier: Ihr Argument sind also die Kosten?
Werner Steinecker: Nein, es sind nicht die drei- bis dreieinhalb Mal so hohen Kosten, die das Hauptproblem verursachen. Die 110-KV-Spannungsebene verträgt in dem Freileitungssystem, wie es zu 90 Prozent in Europa betrieben wird, nur eine bestimmte Länge an Kabelleitung. Das ist eine Verhältnisrechnung. Oberösterreich teilt sich in zwei Leitungsregionen. Die eine Leitungsregion wird aus dem Umspannwerk Ernsthofen getaktet. Dazu gehören Steyr, Linz, das Mühlviertel und das Ennstal. Das zweite große Gebiet umfasst das Umspannwerk Lambach. Daran hängen unter anderem Wels, das Innviertel und das Salzkammergut.
Die Leitungsregion Ernsthofen verträgt wegen der vielen Kabelleitungen in Steyr und Linz kaum noch weiteren Kabelleitungen, damit der Strom nicht eine Größe von rund 132 Ampere erreicht, was im Fall eines Gebrechens nicht mehr zum Erlöschen eines Lichtbogens führen würde. Das ist ein reines Sicherheitsargument. Hier sind wir weit weg von der banalen Kostenargumentation.
NEOS: Wieder trickreiche Argumentation: Der so lässig hingeworfene Halbsatz „drei- bis dreieinhalb Mal so hohen Kosten“ bezieht sich auf ein Gutachten von Ernst&Young, noch beauftragt von Dr. Strugl im Namen des Landes Oberösterreich. Dieses Gutachten vergleicht eine fiktive, nicht einmal ansatzweise konkret kalkulierte Erdkabeltrasse mit Freileitungsbaukosten, die man als „Wunschbaukosten“ (€650.000/KM) der Energie AG bezeichnen könnte. Tatsächlich baut die heimische Energiewirtschaft nämlich zu wesentlich höheren Kosten Freileitungen. Beispiel ist die – genau in der Planungsregion Mühlviertel gelegene – Leitung von Friensdorf über Freistadt nach Rainbach (€916.000/KM).
Demgegenüber steht nun seit Ende letzten Jahres das oben erwähnte Fachgutachten von internationalen Experten, ausgerichtet auf eine kluge Leitungsführung (unter Berücksichtigung der Bodenverhältnisse), das nur 16% über den „Wunschbaukosten“ der Energie AG liegt. Wenn man diese Kosten mit den bereits vorliegenden realen Baukosten der (präferierten) Freileitungstrasse (8a) vergleicht, ist die Erdleitung sogar wesentlich günstiger.
Bezeichnenderweise verwendet Dr. Steinecker das bisherige Hauptargument „der enormen Kosten“ gegen die Erdleitung nur mehr am Rande und nennt es „banal“. Er weiß, dass das Gutachten von E&Y nach dem Erscheinen des Fachgutachtens „Brakelmann-Pöller“ schön langsam „verschwinden“ sollte, weil es einer sachlichen Überprüfung nicht standhält.
Bleibt als letztes Argument („geht leider nicht anders“) die Kabelreserve. Das oberösterreichische Netz ist leider tatsächlich so veraltet, dass deswegen ohne Zusatzmaßnahmen nur eine beschränkte Anzahl (genauer: Streckenlänge) von Erdkabelleitungen eingesetzt werden kann. Aber auch das wurde im Gutachten Brakelmann-Pöller berücksichtigt, indem sogenannte Trenntrafos eingeplant und in die Kosten eingerechnet wurden. Das übrige Netz in Oberösterreich wird hinsichtlich Erdkabelreserve – insbesondere für die Städte – also nicht tangiert.
Trotz voller Kostenwahrheit sind die tatsächlichen Erdkabelkosten also nur maximal 16 % höher als die „Wunschbaukosten“ der Freileitung. Die Größenordnung dieser „Mehrkosten“ liegt in etwa bei 4 Mio. €. Wird die Freileitung jedoch so weiter gebaut wie vormals im Raum Freistadt (Trasse 8a), ergibt sich durch die Erdkabellösung sogar eine Einsparung von rund 6 Mio. €. Letzteres ist wohl realistisch. Denn warum sollten die „Ist-Baukosten“ beim Weiterbau der Leitung plötzlich auf die „Wunsch-Baukosten“ der Energie AG fallen?
Kurier: Die Städter haben den Vorteil der Kabelleitung, die Menschen am Land, die in der infrastrukturellen Ausstattung sowieso schon benachteiligt sind, haben mit den Freileitungen einmal mehr den Schwarzen Peter in der Hand.
Werner Steinecker: Die Leitung im Mühlviertel wird nicht für Linz gebaut, sondern damit im Mühlviertel die Versorgungssicherheit gewährleistet werden kann. Sie ist derzeit schon grenzwertig. Wir brauchen die Leitung für die Betriebe in Bad Leonfelden und Rohrbach. Wir benötigen einen zweiten Versorgungsweg, denn Rohrbach hängt an einer einzigen Freileitung, die von Ranna im Donautal herauf ins Mühlviertel führt. Wenn dort ein einziger Baum in die Leitung fällt, gibt es in Rohrbach keinen Strom.
Zur Notwendigkeit der Almtal-Leitung kommt, dass Kirchdorf an der Krems an einer einzigen Leitung hängt, die von Steyr kommt. Wenn dort etwas passiert, sind Kirchdorf und Micheldorf ohne Strom.
Das Innviertel braucht keinen zweiten Stromweg, sondern es passt die Spannungsqualität nicht mehr. Die Ansiedelung eines Unternehmens ähnlich der Firma Leitz in meiner Heimatgemeinde Riedau ist nicht mehr möglich, weil die Qualität nicht mehr passt. Es gibt also eine Reihe von Notwendigkeiten, warum wir Leitungen verlegen müssen.
NEOS: Was jetzt? Nun sagt Dr. Steinecker, dass die geplante Leitung für die Versorgungssicherheit des Mühlviertels notwendig ist? In einem schriftlichen, von der Energie AG an die IGLM übermittelten Dokument vom Dezember 2019 heißt es sinngemäß, Strombedarfsprognosen für den Planungsraum seien gar nicht so wichtig ...
Und Dr. Steinecker liefert an dieser Stelle auch ein wesentliches Argument für die Erdkabellösung, wenn er sagt: „Wenn dort ein einziger Baum in die Leitung fällt, gibt es in Rohrbach keinen Strom.“
Warum also dann unbedingt eine Freileitung? Das Kostenargument ist laut Dr. Steinecker nur mehr „banal“, Strombedarfsprognosen für das Mühlviertel sind laut einem aktuellen, aus seinem eigenen Haus stammenden Dokument „von untergeordneter Bedeutung“. Bleibt als Argument nur mehr die „Versorgungssicherheit“ übrig – und da sieht eine Freileitungslösung im Mühlviertel im Vergleich zur Erdkabelvariante nach allen durchgeführten Expertenberechnungen richtig „alt aus“ ...
Kann es sein, dass die Stromtrasse unbedingt über der Erde sein muss, weil man eine Erdkabellösung nicht so leicht „upgraden“ kann? Von 110 KV auf 220 KV heißt auf die Masten nur andere und weitere Kabel hängen, und fertig ist die neue Importleitung aus Temelin. Sollen durch das Schlagen der Trassen und Errichten der Masten einfach Fakten geschaffen werden? Wenn dem so ist, dann sollten Energieversorger und Landespolitik das offenlegen und mit den Menschen besprechen. Alles andere ist unfair.
Zum Abschluss noch ein Auszug aus dem Gutachten Brakelmann-Pöller: „In wirtschaftlicher Hinsicht sind Kabel- und Freileitungsvariante in etwa gleich zu bewerten. Nimmt man bei dem Kriterium der Wirtschaftlichkeit noch die volkswirtschaftlichen Vorteile der Kabelvarianten hinzu (z.B. keine Abwertung von Grundstücken im Mühlviertel, keine negativen Auswirkungen auf den Tourismus), so stellt sich die Kabelvariante als diejenige Lösung dar, die unter Anwendung der Kriterien des “Leitfadens für Planungsprozesse zur Trassenfestlegung bei neuen Hochspannungsleitungen” des Landes Oberösterreich günstiger abschneidet, weshalb die Entscheidung objektiv zugunsten der vorgeschlagenen Erdkabellösung ausfallen müsste.“
Ich bleibe nach Abwägung aller Argumente dabei. Im Interesse der Versorgungssicherheit, des Wirtschaftsstandorts, der Umwelt und der betroffenen Menschen, die sich mutig auch im Namen nachfolgender Generationen einmischen. Unser Antrag im Nationalrat ist eingebracht:
110 KV Leitungen gehören unter die Erde!
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